Die Ampel ist vorzeitig zu Ende gegangen und die Koalition aus den beiden verbleibenden Parteien hat keine Mehrheit mehr im Bundestag. Das ist eine Ausnahmesituation, die nur selten vorkommt. Dennoch sind die Verfahrensweisen für solch einen Fall zum Glück ausführlich geregelt. Im Allgemeinen sind diese aber nicht allgemein geläufig, weshalb in einer Situation wie jetzt bei vielen Bürger:innen Fragen dazu auftauchen. Ich habe die aus meiner Sicht wichtigsten zusammengefasst und hier beantwortet:
Warum hat die Bundesregierung keine Mehrheit mehr?
Unser Land steht vor enormen Herausforderungen – wir müssen unsere Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig machen, unsere Infrastruktur erneuern, unsere Energieversorgung sichern, die Sicherheit unseres Landes und Europas gewährleisten, die Herausforderungen des Klimawandels meistern und bei all dem darauf achten, dass der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gewährleistet ist. Das geht nur mit massiven Investitionen, die wir nicht irgendwann sondern jetzt tätigen müssen.
Der Kanzler hatte sehr konkrete Vorschläge gemacht, wie wir uns auf einen Haushalt einigen können, der dem Ernst der Lage gerecht wird und für alle Seiten annehmbar ist. Dabei war klar, dass alle Beteiligten von ihren Maximalpositionen zurücktreten müssen, um zu einer Einigung zu finden.
Leider hat sich gezeigt, dass Christian Lindner nur dann zu den nötigen Investitionen in unsere Zukunft bereit ist, wenn dies mit empfindlichen Kürzungen in besonders sensiblen Bereichen einhergeht. Das aber ist für uns Sozialdemokrat:innen nicht hinnehmbar! Wir akzeptieren es nicht, wenn jemand die Zukunftsfähigkeit unseres Landes gegen die soziale Sicherheit oder Umwelt- und Klimaschutz ausspielt! Mit ihrem Verhalten hat die FDP-Führung bewusst eine unauflösbare Konfrontation herbeigeführt, die unweigerlich zum Bruch der Regierung führen musste. Lindner hat sich aus taktischen Erwägungen dafür entschieden und die Parteipolitik über das Wohl unseres Landes gestellt. Unser Bundeskanzler Olaf Scholz hat den bisherigen Bundesminister der Finanzen daher aus seinem Amt entlassen, was zum Austritt der FDP aus der Koalition geführt hat.
Was ist die Vertrauensfrage und wieso ist sie nötig?
Die Bundesregierung hat mit Ausscheiden der FDP in der jetzigen Zusammensetzung des Bundestages keine Mehrheit mehr. Allerdings kann sich der Bundestag nicht selbst auflösen. Stellt der Kanzler die Abgeordneten vor die Wahl, ihm das Vertrauen auszusprechen, und verliert diese Abstimmung, kann er dem Bundespräsidenten vorschlagen, den Bundestag aufzulösen. Der Bundespräsident entscheidet dann innerhalb von 21 Tagen über die Frage der Auflösung. Nach der Auflösung muss dann innerhalb von 60 Tagen ein neuer Bundestag gewählt werden.
Die Entscheidung, wann die Vertrauensfrage gestellt wird, trifft der Kanzler. Aktuell ist der 16. Dezember vorgesehen. Die zuvor von der Union losgetretene Debatte um den Termin ist sehr bedauerlich, denn aus meiner Sicht war sie vor allem ein Manöver zur Diskreditierung des Kanzlers und der SPD. Abgesehen davon, dass die Bundeswahlleiterin in einer Stellungnahme auf die Risiken eines zu kurzen Vorlaufs für die geordnete Durchführung einer Bundestagswahl hingewiesen hat, sind der Nominierungsprozess der Kandidierenden und die Abstimmung über Landeslisten in vielen Parteien – so auch der Union – noch nicht abgeschlossen. Wäre der Kanzler den Forderungen von Merz für eine sofortige Vertrauensfrage gefolgt, wäre die Union sicher selbst in vielen Landes- und Kreisverbänden in größte Schwierigkeiten gekommen. Deshalb empfand ich diese Diskussion als unseriös.
Wichtig ist aus meiner Sicht vor allem eines: dass es ein geordnetes Verfahren gibt, das nicht im Chaos endet. Andernfalls würde das Vertrauen der Menschen in unser politisches System und die Demokratie geschwächt.
Wie gehen wir jetzt in die nächsten Wochen?
In der SPD-Bundestagsfraktion werden wir uns weiter dafür einsetzen, das Beste für die Menschen und für die Zukunft unseres Landes zu erreichen. Wir kämpfen für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, für die Stärkung unseres Wirtschaftsstandortes, für unsere innere, äußere und soziale Sicherheit, für bezahlbaren Wohnraum, für eine nachhaltige Energieversorgung und für vieles mehr. Wir werden der Situation mit größtmöglicher Verantwortung begegnen und versuchen, noch dringend erforderliche Maßnahmen im Bundestag zu verabschieden. Begleitend bereiten wir uns auf die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 vor.
Kann es auch zu einem konstruktiven Misstrauensvotum kommen?
Die Opposition kann nach Art. 67 GG ein Misstrauensvotum stellen. Dafür müsste der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen neuen Bundeskanzler oder eine neue Bundeskanzlerin wählen. In den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen des Bundestages ist eine demokratische Mehrheit jenseits von SPD und Grünen und ohne die AfD jedoch nicht gegeben.
Wie arbeitet der Bundestag bis zur Neuwahl?
Der 20. Deutsche Bundestag bleibt bis zur Konstituierung des 21. Deutschen Bundestages im Amt. Die Umsetzung gesetzgeberischer Vorhaben ist weiterhin möglich. Sie benötigt aber eine parlamentarische Mehrheit im Bundestag, die ohne die Beteiligung des ausgeschiedenen Koalitionspartners nicht mehr grundsätzlich gegeben ist und daher einer Unterstützung aus den Reihen der Opposition bedarf.
Wir ermitteln nun, welche Vorhaben wir gemeinsam mit den Grünen auf den Weg bringen können, die auch andere demokratische Parteien bereit sind mitzutragen und darüber zu verhandeln. Dabei sind wir uns mit allen anderen Parteien der demokratischen Mitte einig, dass es Mehrheiten nur ohne die AfD geben darf. Wir werden deshalb sicherstellen, dass kein von uns eingebrachtes Vorhaben im Bundestag die Zustimmung der AfD für eine Mehrheit braucht. Eine Zusammenarbeit mit der AfD ist und bleibt für uns ausgeschlossen!
Wird es in dieser Legislatur noch einen Haushalt für 2025 geben?
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass jetzt noch eine Mehrheit für einen regulären Haushalt 2025 zustande kommt. Im Haushaltsausschuss werden die Beratungen dazu deshalb nicht fortgeführt. Ich gehe davon aus, dass es einen Haushalt für 2025 erst nach der Neuwahl mit einem neuen Bundestag und der nächsten Bundesregierung geben wird.
Was passiert ohne Haushalt?
Auch ohne Haushalt bleibt die Bundesregierung im Jahr 2025 zahlungsfähig. Ohne verabschiedeten Haushalt beginnt mit dem Jahreswechsel die sog. „vorläufige Haushaltsführung“ (siehe Artikel 111 GG). Damit ist eine Bundesregierung – ob amtierend oder geschäftsführend – auch weiterhin in der Lage, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Diese Situation ist nichts ungewöhnliches; sie kommt regelmäßig etwa nach Bundestagswahlen vor. Eine „Haushaltssperre“ oder etwas vergleichbares gibt es nicht. Alle staatlichen Leistungen bleiben uneingeschränkt bestehen. Jedoch können neue Projekte oder Förderungen nur in sehr engen Grenzen umgesetzt werden. Das Finanzministerium (BMF) entscheidet unter Abschätzung der voraussichtlichen Dauer der vorläufigen Haushaltsführung und auf Grundlage entweder des Haushaltes 2024 oder des Haushaltsentwurfs.