Am 23. Mai hatten wir einen ganz besonderen Geburtstag zu feiern: Unser Grundgesetz, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, ist 73 Jahre alt geworden. Es mag im Alltag der meisten Menschen wenig wahrgenommen werden, doch ist es die Grundlage für alles, was unser Land ausmacht. Denn das Grundgesetz ist mit seinen heute 146 Artikeln der Garant für unsere Grundrechte und unsere Freiheit; es ist das stabile Fundament unserer Demokratie.
Dabei ist nicht nur seine Entstehungsgeschichte eine Besonderheit. Denn inmitten der Trümmer eines der schrecklichsten politischen Systeme der Neuzeit war es anfangs gar nicht als Verfassung eines neuen deutschen Nationalstaates entworfen worden, sondern als konstituierendes Regelwerk für einen Staat, der zunächst nur aus den westlichen Besatzungszonen innerhalb des ehemaligen deutschen Staatsgebietes bestand. Das ist einer der Gründe, warum es seinen eigenwilligen Namen trägt.
Eine detaillierte Übersicht zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes gibt es bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hier.
Die eigentliche Besonderheit und das, was das Grundgesetz in meinen Augen so wertvoll macht, ist, dass es die Würde und die Freiheit des einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellt. Damit stellt es sicher, dass kein noch noch so wichtiges Prinzip oder staatliches Ziel über die oder den Einzelne:n gestellt werden darf – ein unschätzbar hohes Gut!
Die Werte des Grundgesetzes verteidigen
In der heutigen Zeit haben wir zwar das große Glück, in Europa von zahlreichen Nachbarstaaten umgeben zu sein, von denen die allermeisten unsere Werte teilen. Daher gerät im Alltag allzu oft in Vergessenheit, dass die Realität in vielen Staaten der Welt eine völlig andere ist als bei uns. Aber selbst in Europa gibt es einige Staaten, die sich von diesen Werten wegbewegen und sich stärker autoritären Modellen zuwenden, in denen Freiheit, Selbstbestimmung und Mitsprache eine untergeordnete Rolle spielen.
Insgesamt hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die Zustimmung zu den Werten, die in unserem Grundgesetz festgeschrieben sind, weniger selbstverständlich ist, als wir bisher geglaubt haben. Das zeigt auch die seit der jüngeren Vergangenheit hohe Präsenz nationalistischer und nach meinem Verständnis verfassungsfeindlicher Kräfte im öffentlichen Raum, die sogar zu einer Repräsentanz in den Parlamenten unseres Landes geführt hat. Wir erleben, wie Hass und Hetze systematisch verbreitet und gleichzeitig Amts- und Mandatsträger:innen gezielt eingeschüchtert werden. Das alles geht einher mit gezielter Desinformation, die das Gemeinwesen destabilisieren und unsere Gesellschaft spalten soll. Besonders sichtbar wurde das auch während der Corona-Pandemie. Es ist daher kein Wunder, dass das diesjährige Verfassungsgespräch am 22. Mai im Bundesverfassungsgericht, bei dem ich als Zuhörer anwesend war, unter dem Motto „Alternative Fakten – Leben wir im selben Universum?” stand.
Hier geht’s zum Mitschnitt der Veranstaltung in der Phoenix-Mediathek: klick
Die aktuellen Tendenzen erinnern uns daran, dass Freiheit, Demokratie und Solidarität keine Selbstverständlichkeiten sind. Wir müssen sie entschlossen gegen alle Angriffe von innen wie von außen verteidigen. Es ist unsere Aufgabe, den Menschen immer wieder den unschätzbaren Wert dieses außergewöhnlichen Regelwerkes vor Augen zu führen, das wir Grundgesetz nennen. Dafür setze ich mich mit aller Leidenschaft ein – und lade alle ein, es mir gleich zu tun.