Bereits Mitte März habe ich mich mit einem Schreiben an die noch amtierende Bundesaußenministerin Annalena Baerbock gewandt, um auf die besorgniserregende Situation in der ost-türkischen Stadt Van aufmerksam zu machen und die Bundesregierung zum Handeln aufzufordern. Hintergrund ist die Besetzung der Rathausspitze in Van an, bei der die gewählten Oberbürgermeister:innen seit 2016 immer wieder auf Initiative der übergeordneten Behörden durch Enthebung aus dem Amt entfernt wurden. Die jüngste Amtsenthebung des 2024 gewählten Ko-Oberbürgermeisters von Van, Abdullah Zeydan und dessen Kollegin Neslihan Şedal folgte dem gleichen Muster. Zeydan wurde schließlich im Februar aufgrund einer zehn Jahre zurückliegenden Äußerung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. 

Das Vorgehen der türkischen Zentralregierung in dieser Sache ist nicht nur unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten betrachtet äußerst fragwürdig. Es verhindert auch die Pflege der Projektpartnerschaft, welche die Stadt Karlsruhe mit der kurdisch geprägten Metropole Van im Jahr 2016 eingegangen war. Bereits seit der Amtsenthebung des gewählten Oberbürgermeisters Bekir Kaya im Jahr 2016 ist die Zusammenarbeit der beiden Städte faktisch unmöglich geworden. Die Situation eskalierte weiter durch die 2019 erfolgte Absetzung des gewählten Oberbürgermeister:innen-Duos aus Bedia Özgökce Ertan und Mustafa Avci. In beiden Fällen wurde im Nachgang der Enthebung eine Zwangsverwaltung der Stadt durch übergeordnete türkische Behörden eingesetzt. 

Die an den Tag gelegte Rechtspraxis der türkischen Justiz zeichnet ein Bild, das kaum mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar ist, zu deren Einhaltung sich auch die Türkei verpflichtet hat – so etwa die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), welche die Türkei bereits vor langer Zeit unterzeichnet und ratifiziert hat. Dieser Eindruck wird durch den vorangegangenen Versuch, Zeydans Wahlsieg nachträglich zu annullieren, nur noch verstärkt.

Deshalb habe ich mich mit einem Schreiben an die Bundesregierung gewandt und darum gebeten, dass diese den Fall prüfen und ggf. gegenüber der Türkei die Einhaltung vertraglich zugesicherter Standards anmahnen möge. Dabei darf man sich gewiss aber keinen Illusionen hingeben: Denn wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass wir nur wenig Einfluss auf die rechtsstaatliche Praxis in der Türkei haben. Dennoch sollten wir bewusste Regelverstöße niemals als vermeintlich ‘normal’ hinnehmen und grobes Foul-Spiel auch als solches benennen.

Ich halte es für in der aktuellen Situation für entscheidend, sowohl gegenüber der türkischen Regierung als auch der Bevölkerung in Van zu signalisieren, dass wir die Ereignisse vor Ort sehr wohl beobachten und zweifelhafte Maßnahmen, die im Widerspruch zu internationalen Verpflichtungen der Türkei stehen, durchaus registrieren. Das mag im Moment zwar nur ein schwacher Trost sein, jedoch wird sich die Türkei im Wissen, dass sie unter Beobachtung steht, sehr genau überlegen müssen, wie weit sie gehen kann. Zudem signalisieren wir den Menschen vor Ort, die auf eine Wiederherstellung rechtsstaatlicher Prinzipien hoffen, dass sie nicht alleine sind. Das ist ein Beitrag, den man nicht unterschätzen sollte.

Auch wenn sich die Situation in der Türkei zuletzt deutlich verschärft hat, hoffe ich darauf, dass die Projektpartnerschaft zwischen Karlsruhe und Van alsbald aktiv fortgeführt werden kann. Vorerst sollte man dafür aber eine gute Portion Geduld mitbringen.